Depressionen im Kindes- und Jugendalter waren noch vor einigen Jahrzehnten kaum Gegenstand von Forschungsarbeiten. Neuere Studien zeigen nun auf, dass Depressionen bei Kindern und Jugendlichen viel häufiger sind, als bislang angenommen. So haben je nach Studien bis zu 20 Prozent der Jugendlichen bei Vollendung des 18. Lebensjahrs eine Depression durchlebt (Thapar et al., 2012). Zudem zeigte sich, dass bei depressiven Menschen zwischen Erkrankungs- und Behandlungsbeginn im Schnitt 10 Jahre liegen (Baer et al., 2013); 10 Jahre, in welchen bereits eine Therapie hätte stattfinden und entsprechend viel Leid hätte gelindert werden können.
Betroffenen Personen gelingt es oft nicht, sich ihrem Umfeld anzuvertrauen; teils aus Scham, teils aus Angst stigmatisiert oder nicht verstanden zu werden. Einige der Betroffenen versuchen zudem ihr Umfeld zu schonen und vertrauen sich deshalb niemandem an. Dem Umfeld hingegen gelingt es oft nicht, Betroffene anzusprechen; weil man sie nicht brüskieren will, weil man Angst hat, die Person auf die Idee eines Suizids zu bringen oder aus Angst, in eine Überforderung zu geraten und nicht zu wissen, wie man mit einem allfälligen «Ja, ich habe Suizidgedanken» umgehen soll. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele suizidgefährdete Menschen darauf angewiesen sind, dass man sie auf ihre Verfassung und die Suizidalität anspricht. Durch das Ansprechen können sie sich öffnen, einem anvertrauen, so dass Hilfe möglich wird. Die Angst, eine Person durch das Ansprechen von Suizidalität auf die Idee eines Suizids zu bringen, also schlafende Hunde zu wecken, ist unbegründet (bspw. Reimer et al., 2000). Zudem zeigt die klinische Erfahrung, dass fast alle Menschen, die einen Suizidversuch überleben, hinterher froh sind, den Versuch überlebt zu haben.
Mehrere Menschen haben sich nach der Lektüre des Buches «Die Leiden des jungen Werthers» von Johann Wolfgang von Goethe auf dieselbe Art und Weise umgebracht wie der junge Werther im Buch, was dem Suizidnachahmungseffekt den Namen «Werther-Effekt» gegeben hat. Es ist jedoch nicht nur nach der Lektüre von Büchern zu einem Anstieg der Suizidrate gekommen, sondern auch nach der Lektüre von Zeitungsberichten wie auch nach der Ausstrahlung von gewissen Filmen zum Thema. Dabei hat sich gezeigt, dass der Werther-Effekt insbesondere dann entstehen kann, wenn eine konkrete Person dargestellt wird, deren Beweggründe zum Suizid aufgezeigt werden und zudem dargestellt wird, auf welche Art und Weise die Person sich umgebracht hat. Je konkreter und bildhafter die Darstellung ist, je stärker eine Identifikation und ein Modelllernen möglich sind, desto grösser ist die Gefahr des Werther-Effekts. Auf der anderen Seite gibt es den «Papageno-Effekt», benannt nach Papageno aus Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte. Wird eine Person dargestellt, die zwar Suizidgedanken hat, die jedoch weder einen Suizidversuch noch einen Suizid begeht, sondern die Krise überwindet, so sinkt in der Folge die Suizidrate. Auch hier kann ein Modelllernen entstehen; jedoch ist es ein lebensbejahendes Modell, das aufzeigt, dass und wie eine suizidale Krise überwunden werden kann (Niederkrotenthaler et al., 2010).
Das Buch «ALLAN: Wenn die Farben des Lebens verblassen» ist so geschrieben, dass kein Werther-Effekt zustande kommt, dass jedoch ein Papageno-Effekt entstehen kann. Es ist also kein gefährliches Buch, sondern ein Buch, das Leben retten kann. Soweit wir es beurteilen können, ist es der erste Roman zu Jugendsuizidalität, welcher diese Kriterien erfüllt. Im Buch kommen kein Suizidversuch und kein Suizid vor. Suizidmethoden werden keine behandelt. Es wird ein Jugendlicher dargestellt, der Suizidgedanken hat, die Krise jedoch bewältigt und schliesslich ein sinnerfülltes, von Freude geprägtes Leben führt.
Es ist nachvollziehbar, dass viele Schulen und andere Institutionen es vermeiden, das Thema Suizidalität zu behandeln. Die Frage sollte aber eigentlich nicht lauten, ob, sondern wie das Thema Suizidalität in der Schule behandelt werden soll. Dabei ist es ratsam, wenn sich Lehrer und Lehrerinnen von Fachpersonen beraten lassen. Beratung erhalten sie beispielsweise durch das Berner Bündnis gegen Depression oder durch die Berner Gesundheit.